Schilf und Kohl.

Ein Sonntag im Dezember. Wenn Inspiration kickt, wenn das bezaubernde Wort Kreativität von bedeutungsschwerer Leere zu praktischem Prickeln wird. Nicht im Bauchnabel, sondern im Rausch. Im kleinen Rausch. Im Theorie vergessenen Rausch. So oft steht die Kreativität im Raum, verheißungsvoll. Geliebt wird sie, umgarnt. Mit ihr geworben, geprahlt. Innovativ, kreativ, flexibel, eine ausgezeichnete Idee! Doch das ist alles nur geklaut.

Ein Barsch im Dezember. Seifengeruch, Palmolive Cremedusche Naturals Milch & Honig, Angst vor Migräne. Vorfreude auf Fisch. Kalte Lippen, ein enger Neoprenanzug und der Geruch von synthetischem Honig vernebeln mir die Sinne. Ich liege wie ein Otter in einem See in Mecklenburg Vorpommern, treibe umher, es regnet. Unter Wasser ist es graublau, trist, tot. Kein Fisch, nur Schilf. Halme wiegen sich in unmotivierten Wellen und siehe da. Die Welle bricht Licht. Foto, Buckelwal spielen, Otter sein. An einem wirklich schrecklich kaltem Tag am Ende des Jahres gehe ich vollkommen unwirklich bei 4 Grad Wassertemperatur und Nieselregen in einem See baden. Merkt der sich eigentlich noch? “Ist das hier die Stelle mit dem warmen Wasser?”, fragt ein Passant und erklärt mir, dass sein Hund nur bis zum Bauch ins Wasser geht. Kalt ist dem nicht, Unterwolle. Getönte Sonnenbrille.

Ein Kühlschrank im Dezember. Brummend, Glastür. Ich bin müde. Wasser macht müde, das sieht auch der Hund so. Im Augenwinkel sehe ich eine Struktur. Meine Fresse, ist das schön! Wo kommt das immer auf einmal her? Echte Inspiration, echte Freude. Einfach da. Ein Flow entsteht, Kreativität ist wieder da. Hi, grüß dich.

Welle bricht Licht, so öde, so uninspiriert.
Welle auf Kohl. So persönlich, berührend.

Wirklich inspirierend. Gänsehaut. Ganz kurz. Ein Kohl. Gebetet auf Lauch, eine halbe Aubergine sieht tatenlos zu. Sieht wie ich mein Handy zücke, automatisch, den Kohl fotografiere. Linien, Farben, Formen. Langweilige Kompositionsregeln ergeben Sinn, formen Schönheit, Handy drehen. Nur ein kleines Stück. Achtung, die Ecken! Ecken checken, sollte es in meinem Kopf hallen. Tut es aber nicht. Zu oft gehört, zu oft gesagt. Im Moment einfach da.

Kohl wird Licht, Welle bricht. Kreativität ist da, im Moment. Unerwartet, ungezwungen, völlig frei. 471 Fotos später füge ich zusammen, was irgendwo ansteht. Eine Anomalie, eine willkürliche Ansammlung von Gedanken, Erinnerungen, erlernten Strukturen. Hingabe und Liebe für das Detail. Unkonzentriert, Hunger. Gänsehaut, nicht geklaut.

Eine Liebesgeschichte zwischen Kohl und Schilf.

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Ist das Kunst oder kann das weg?

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